Aktueller Artikel

(Der folgende Artikel ist erstmals erschienen im Heft 5/2006 der Zeitschrift "Weiterbildung", S. 36-38)
Wahrnehmen statt Interpretieren -
Plädoyer für eine andere Art des Aktiven Zuhörens
Feedback braucht Klarheit
Die Tür geht auf, herein rauscht der Mitarbeiter Müller. Ein fröhliches Gesicht macht er nicht gerade. Und tatsächlich: Auf den Tisch des Abteilungsleiters klatscht ein Paket voller Schriftstücke. Müller knirscht mit den Zähnen: "So kann man doch hier nicht arbeiten!" Der Chef weiß: Jetzt kommt's nicht nur darauf an, herauszufinden, was genau das sachliche Problem ist. Es gilt außerdem, sich um Müllers Befindlichkeit zu kümmern.
Was fällt jeder seminarerprobten Führungskraft in diesem Moment ein? Richtig: Das "Aktive Zuhören". Schließlich lehrt inzwischen nahezu jedes Kommunikationstraining diese verdienstvolle Methode. Aus gutem Grund. Erstens ist sie nicht weniger als eine Grundlage effektiver Kommunikation. Und zweitens ist es eine, mit der sich ambitionierte Führungskräfte zuweilen schwer tun - immerhin müssen sie beim Aktiven Zuhören ihr eigenes Ich in den Hintergrund stellen.
Sich in den Gesprächspartner einfühlen
Aktives Zuhören heißt, sich in seinen Gesprächspartner
einzufühlen, um ihm dann mit eigenen Worten
wiederzugeben, was man erstens sachlich und
zweitens emotional von ihm verstanden hat. Eine prima
Sache, oder? Prinzipiell schon - wenn nur nicht
immer der gleiche Fehler gemacht würde. Denn vor
lauter Einfühlung geht oftmals die Klarheit in der Ich-Du-Beziehung zwischen den beiden Gesprächspartnern
völlig verloren. Die Kommunikation verläuft oft
auf der Basis von Interpretationen statt von Wahrnehmungen,
und das dient weder dem Gesprächsverlauf
noch der Problemlösung.
Aber zunächst einmal das Positive. Eine Führungskraft, die aktiv zuhört, muss die eigenen Bedürfnisse und Interessen für eine begrenzte Zeit in den Hintergrund stellen, um sich ganz auf das Anliegen des Gesprächspartners zu konzentrieren. Und sie muss diesem aktiv Feedback geben - auf der sachlichen und emotionalen Ebene. Zu achten ist dabei nicht nur auf das, was der andere sagt, sondern auch darauf, wie er spricht und sich verhält. Die Grundhaltung des "Aktiven Zuhörers" ist die des einfühlenden Verstehen-Wollens. Man versucht, die Welt aus den Augen des anderen zu sehen - ein Perspektivwechsel also. Der aktive Zuhörer vermittelt seinem Gegenüber: "Ich habe nicht nur verstanden, was du sagst, sondern auch, wie du es meinst und wie dir dabei zumute ist." Grundlegende Voraussetzungen für das Gelingen sind das echte (nicht gespielte!) Interesse für den anderen, die Bereitschaft, seine Botschaft aufzunehmen, sowie die Fähigkeit, eigene Bedürfnisse und Sichtweisen zeitweilig im Hintergrund zu lassen.
Beim Aktiven Zuhören werden in der Regel drei Stufen
unterschieden (siehe Schulz von Thun und Gordon)
und entsprechende Verhaltenweisen eingeübt.
Auf der Stufe 1 geht es um die Beziehungsebene,
um die Bedeutung der Aufmerksamkeitssignale.
Wer aktiv zuhört, hält Blickkontakt, wirft ein "Aha",
ein "Ja" oder ein "Hmm" ein. Damit wird dem Gesprächspartner
signalisiert: "Ich bin jetzt ganz Ohr für
dein Anliegen".
Auf der Stufe 2 geht es um die Sachebene, das
inhaltliche Verständnis. In einem kontrollierten Dialog
gibt der aktive Zuhörer seinem Gegenüber in eigenen
Worten zurück, was er inhaltlich mitbekommen
hat. Er paraphrasiert sozusagen das Gehörte
und lässt sich die Richtigkeit bestätigen beziehungsweise
sich korrigieren.
Stufe 3 spricht die emotionale Ebene an, hier
werden Gefühle verbalisiert. Nicht die eigenen, sondern
die des anderen ("Sie sind sehr ärgerlich.").
Sich nicht in Fallstricke verwickeln
Der zentrale Punkt beim Aktiven Zuhören ist also das Feedback auf der inhaltlichen und emotionalen Ebene. So weit, so gut. Was den Inhalt der Kommunikation angeht, gibt es an der Methode auch wenig zu bemängeln. Doch gerade beim Feedback auf der emotionalen Ebene hält das Aktive Zuhören allerhand Fallstricke bereit, in denen sich die Gesprächspartner im Alltag immer wieder verwickeln. Das Hauptproblem: Häufig verwischt die notwendige Klarheit der Ich-Du-Beziehung in der Kommunikation. Die kann eigentlich nur derjenige sauber aufrecherhalten, der im Gespräch mit Ich-Botschaften arbeitet. Das findet indes in der klassischen Form des Aktiven Zuhörens nicht statt. Zur Illustration hier zwei Beispiele aus Thomas Gordons Buch "Managerkonferenz".
Beispiel 1:
Hörer: Sie sind sehr entmutigt."
Beispiel 2:
Hörer: Sie sind ärgerlich, weil Sie in den Plänen Fehler finden."
Klare Verhältnisse schaffen
Will die der aktive Zuhörer nicht auch haben? Sicherlich - doch in der Praxis fehlt ihm oft die Bewusstheit, dass es ausschließlich seine höchst eigenen Vermutungen oder Interpretationen sind, wenn er Aussagen über die Gefühle seines Gesprächspartners trifft. Er stellt lediglich Hypothesen auf, wenn er wie im Beispiel oben feststellt "Sie sind entmutigt" oder "Sie sind ärgerlich". Dass dies in der Praxis so gehandhabt wird, ist auch eine Folge von den oft sehr nebulösen Trainingsanleitungen wie "sich hineinfühlen", "in Worte fassen, was gefühlsmäßig mitschwingt", "zwischen den Zeilen versteckte Botschaften des Gesprächspartners aufnehmen" oder "dem anderen aus dem Herzen sprechen". Wie, bitte, funktioniert das genau?
Die sinnlich wahrnehmbare Grundlage solcher Interpretationen (hängende Schultern, eine spannungslose Haltung oder geballte Fäuste, eine laute Stimme) bleibt im Dunkeln, für den Sender genauso wie für den aktiven Zuhörer. Schlimmer noch: Es wird
andere sagt, sondern auch darauf, wie er
spricht und sich verhält.
Diese Interpretationen laufen oft über einen Vorgang, der ebenfalls in der Regel unklar bleibt: nämlich über die persönliche Identifizierung des Zuhörers. Grob gesagt denkt er sich in die Vorstellungswelt des Senders hinein, passt sich vielleicht sogar an Körperhaltung, Stimmlage und Atmung an - und nimmt Emotionen an sich selbst wahr, die er dem Gegenüber dann quasi "unterstellt".
Eine klare Sprache muss sein
Dabei wäre es relativ einfach, das Problem zu lösen. Der aktive Zuhörer braucht erstens eine interpretationsfreie Fremdwahrnehmung und zweitens eine klare und genaue Sprache.
seinen Klienten hineinversetzen mag,
wie gut er auch wahrnehmen und
imitieren kann - es sind immer seine
eigenen Gefühle, die er dabei spürt.
Diese Vorgehensweise hat Vorteile für beide Seiten. Der Feedback-Geber macht sich die sinnlich wahrnehmbare Grundlage seiner Interpretationen bewusst. Indem er sie transparent macht und mitteilt, erhält sein Gesprächspartner wertvolle Informationen. Anhand derer fällt es ihm leichter, seine Gefühle zu erkunden und zu benennen.
Besser noch: Die eigenen Interpretationen erst einmal beiseite stellen und statt dessen nachfragen, was das Feedback über die körpersprachlichen Wahrnehmungen beim Sender auslöst. Oft ist es gar nicht so nützlich, wenn der Zuhörer auf die Schilderung seiner Beobachtungen sofort eine Mutmaßung draufpackt - selbst wenn sie als solche deutlich gekennzeichnet ist. Auf dem Gestalt-Ansatz basierendes Coaching zum Beispiel legt viel Wert darauf, dass die gecoachte Person selbst herausfindet, was ihr Stimmklang oder eine bestimmte Gestik für sie bedeutet ("Ich sehe, dass Sie die Hände zu Fäusten ballen. Wie fühlen Sie sich dabei?"). Feedback ist gut - aber zu schnelles und zu ausgiebiges Füttern ist schlecht. Und aus dem verschwommenen "sich einfühlen" in den Gesprächspartner kann bei entsprechender Klarheit in der Methodik durchaus ein wertvolles Arbeitsinstrument werden, gerade auch für Trainer und Coaches. Diese von uns "Identifikatorisches Fühlen" genannte Feedback-Technik ist eine sehr gute Grundlage für das Verstehen des anderen und auch für "Gefühlsvermutungen".
Das bewusste Sich-Identifizieren mit dem Gegenüber, indem man seine Haltung, seine Atmung, seine Körpersprache übernimmt, führt oft zu aufschlussreichen Reaktionen beim Zuhörer, die er dem Sender dann übermitteln kann. Beispiel: "Wenn ich in dieser Körperhaltung am Tisch sitze und ganz wenig atme, dann fühle ich mich klein und beengt. Wie ist das bei Ihnen?" Eine klare Ich-Du-Beziehung, ein wertvolles Feedback. Die gecoachte Person bekommt eine genaue Rückmeldung über ihre Körpersprache und kann herausfinden, mit welchen Gefühlen sie einhergeht. Der Coach wiederum nimmt sich beim Identifikatorischen Fühlen die Zeit, sich nicht nur mental in die Situation der gecoachten Person hineinzudenken, sondern sich ganz real in ihre wahrnehmbaren Körperprozesse einzufühlen, indem er möglichst viel übernimmt: Atmung, Haltung, Blickverhalten, Ton, Modulation. Dadurch gelangt der Coach in der Regel zu einem umfassenderen Verständnis, als wenn er sich nur "mental einfühlt".
Befindlichkeit abfragen
Wichtig für die Beziehungsklarheit: Wie intensiv sich der Coach auch in seinen Klienten hineinversetzen mag, wie gut er auch wahrnehmen und imitieren kann - es sind immer seine eigenen Gefühle, die er dabei spürt. Auch wenn er dadurch vielleicht näher an die Emotionen seines Gegenübers kommt, sind und bleiben es doch nur Hypothesen und Vermutungen. Der Coach muss also immer wieder beim Klienten dessen Befindlichkeit abfragen. Und er muss sich natürlich rechtzeitig wieder de-identifizieren, wieder zu seinem eigenen Ich zurückkehren - sonst ist es vorbei mit der klaren Ich-Du-Beziehung und die Konfluenz vorprogrammiert. Um das Instrument des Identifikatorischen Fühlens professionell und erfolgreich anwenden zu können, bedarf es eines längeren Lernprozesses. Aber das ist wieder ein anderes Thema.